Lazarus ist ein wohlhabender Mann aus Bethanien, der mit seiner Frau Abigail und seinen drei Kindern sowie zwei Schwestern zusammenlebt. Man schätzt ihn ringsum wegen seiner Grosszügigkeit und seiner Ehrlichkeit. Er ist träumerisch veranlagt und verbringt die ersten Stunden das Tages mit Vorliebe damit, das Licht an den Ufern eines Flusses in der Nähe von Bethanien zu beobachten. Dort findet man ihn regungslos in seinem Boot. Am Tag der Beerdigung erweckt ihn sein von weither angereister Freund Joshua wieder zum Leben und reist dann zurück nach Jerusalem.
Auf seinen „Unfall“, wie er selbst es nennt, folgt eine lange Zeit der Genesung. Lazarus leidet unter dem Schuldgefühl des Überlebenden, in der Nacht wird er von Albträumen heimgesucht. Auch das Familienleben kann sein Gefühl der Einsamkeit nicht bezwingen. Mit der Zeit entfremdet er sich von Abigail. Doch als seine Kräfte zurückkehren, erwachen neue Gefühle in seinem Körper. Seine Sinne sind geschärft. Da erfasst ihn ein heftiges Begehren für Sarah, die Frau seines Vorarbeiters Zacharias. Sein Verlangen wird erwidert und die beiden Liebenden können sich die Erfüllung nicht versagen, was zu schrecklichen Konsequenzen führt.
Mit feiner Präzision beschreibt François Debluë das körperliche Empfinden und die inneren Qualen des Lazarus. Im Gegenzug zu diesen intimen Passagen zeigt er das Leben der Hausgemeinschaft und lässt die Gerüchte vernehmen, die sich in Bethanien und Jerusalem verbreiten. Aus leichter, zum Nachdenken anregender Distanz zeigt er, wie eine Menschenmenge von Wut erfasst wird und dazu fähig ist, Männer und Frauen im Namen der Sittlichkeit und Moral zu töten.
Schweizer Literaturpreise 2020
L’Âge d’Homme, Lausanne 2019
ISBN: 978-2-8251-4771-9