Anais und Bruno sind im Grunde zwei sehr angenehme Kinder. Anais, die im Wechsel mit Passagen aus der Optik ihrer Mutter erzählt, bemüht sich nach Kräften um den familiären Zusammenhalt. Und Bruno ist ein sehr eigenbrötlerischer Junge, der seine Nase meist in einem Buch stecken hat. Beide kennen ihre unterschiedlichen Väter nicht. Die Mutter hat den einen verlassen, nachdem sie ihn mit dem anderen betrogen hat. Zurzeit arbeitet sie als Tänzerin in einem Club, deshalb sind die Kinder oft allein zuhause. Sie würde aber viel lieber etwas anderes tun, ja überhaupt das Leben geniessen. Sie empfindet die Kinder als Last und liebt sie zugleich. Das Familienleben schwankt so bedenklich zwischen Anhänglichkeit und Verwahrlosung – bis die Mutter eines Tages weg bleibt. Anais und Bruno helfen sich, indem sie in der Wohnung eine neue Welt erbauen.
Julia Weber lässt ihre kleine Heldin Anais mit einer Traurigkeit erzählen, die gut zum beständigen Regenwetter draussen passt. Das Mädchen benennt die Dinge mit manchmal brutaler Direktheit, unterschwellig aber schwingt eine kindliche Komik mit, in der so leise wie hartnäckig eine Hoffnung lebt. Die Sprache entlarvt die Ohnmacht der beiden Kinder. Ganz auf sich selbst gestellt, verraten sie weder die unzuverlässige Mutter noch ihren Traum von einer intakten Familie. Mehr und mehr gleitet der Monolog der jungen Erzählerin so ins Irreale, Traumwandlerische hinüber.
Was ist wahr, und was denkt sich Anais nur aus? Vielleicht ist der Unterschied gar nicht so gross. Und die Welt, die sich die beiden Kinder in der Wohnung errichten, ist wirklich ihre Welt. Zumindest solange, bis Besuch von aussen droht.
(Beat Mazenauer)
Übersetzung des Titels: All Is Well Here
Limmat Verlag, Zürich 2017
ISBN: 978-3-85791-823-3