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Alice Rivaz

Jette ton pain

«Voici venir le moment de cette nuit de décembre où réveillée apparemment sans cause puisque son oreille exercée et inquiète, toujours sur le qui-vive, ne perçoit de l'autre côté de la mince paroi ni plaintes, ni glissements suspects de pieds nus sur les tapis du grand studio –»

Zwei schlaflose Nächte genügen Christine Grave, der Doppelgängerin der Schriftstellerin, um ihr Leben aus einer neuen Perspektive in den Blick zu nehmen. Doch auch wenn der Roman von Alice Rivaz in einem kurzen Zeitfenster spielt, so sind sie doch – auf Proustsche Art – schwer beladen mit den „Korallenbänke“ des Gedächtnisses und Bewusstseins. Christine Grave ist unverheiratet, hat immer ihr eigenes Geld verdient und ist eigens deshalb nicht die Sekretärin ihres Vaters, eines Arztes, geworden, um sich ihre Unabhängigkeit zu erhalten. Sie muss nun ihre betagte Mutter begleiten, die zu ihr nach Genf gezogen ist. Alice kommt sich zu artig, zu versöhnlich vor, doch zumindest hat sie immer ihre Freiheit bewahrt, wenn sie dafür auch teuer bezahlt: Sie ist einsam. Mit mehr Ausgelassenheit und Selbstvertrauen wirft sie einen Blick, der sich keinen Illusionen hingibt: auf die Gesellschaft („die Erfahrung hat sie gelehrt, dass Gesellschaft nur in ihren Schwindeleien existiert“); das sie erwartende Alter, den Mangel an Verständnis zwischen ihrer Mutter und ihr; ihre amourösen Misserfolge; den Wunsch der Männer, sich die Frauen zu unterwerfen („sie erhoffte sich Amor, nicht Heirat“). Doch sie hat sich ein „geheimes Reich“ bewahrt und das ist der Traum, ja das „lebhafte, starke, schmerzliche“ Bedürfnis, eines Tages zu schreiben. Und zwar, obwohl ihre Mutter meint, Schreiben sei „Zeitverschwendung“. Obwohl die Gesellschaft einem einflüstert, weibliches Schreiben sei lediglich ein „hübscher“ Zeitvertreib ohne jede Konsequenz. An ihr Ende gelangt diese Geschichte – die schönste eines Werks, das das weibliche und feministische Schreiben in der Westschweiz momentan bedeutend voranbringt –, als Christine Grave schliesslich zur Feder greift. So sehen wir das Gewissen einer Frau sich abzeichnen, die in sich – und nur in sich – den Weg findet, ihr Leben zu überschreiten.
(Julien Burri, übers. von Christoph Roeber)

Der Text ist erstmals 2013 in L'Hebdo Hors-série: «Littérature Suisse, 100 livres essentiels» erschienen.

Übersetzung des Titels: Jette ton pain

 Lenos Verlag, Basel 1994

ISBN: 3-85787-639-5

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