Julia von Lucadou

Die Hochhausspringerin

«Was, wenn ich das Wesentliche verpasse, immer nur ein Fragment der Wahrheit betrachte, dessen Bedeutung mir verschlossen bleibt? Je mehr Informationen ich über Riva erhalte, desto weniger bin ich mir sicher, in welche Richtung ich recherchieren soll.»

In ihrem subtilen Zukunftsroman «Die Hochhausspringerin» entwirft Julia von Lucadou eine Gesellschaft, die Fitness und Activity über alles stellt. Dies geschieht nicht ohne Absicht, denn mit Blick auf die Gesundheit, die es zu bewahren gilt, vergeht die Lust auf die Gegenwart. Riva, ein Star in der Szene der Hochhausspringerinnen, verweigert sich eines Tages ihrem Sport und ihren Sponsoren. Eine Psychologin, Hitomi, soll dafür sorgen, dass sie wieder funktionstüchtig wird. Sie hat dafür Zugriff auf alle verfügbaren Daten und Bilder. Indem dieses Vorhaben letztlich misslingt, bringt sich die Psychologin selbst in Gefahr. In ihrer total zweigeteilten Welt gibt es nur Sieger oder Verlierer. Letztere wohnen in der Peripherie, in der Krankheit und Armut wüten, während den Eliten das Zentrum vorbehalten ist. Hier werden alle Mittel der Informationstechnologie eingesetzt, um die Menschen glücklich zu machen. Wer sich widersetzt, wird allerdings entsorgt. „Die Hochhausspringerin“ entstellt die gegenwärtige Realität nur um ein paar subtile Umdrehungen. Aus der Perspektive der Psychologin wird ein Setting aufgebaut, ohne dass Informationen zu dieser „neuen Welt“ unnötig ausgeplaudert werden. Alles erhält im Lauf der Geschichte Bedeutung und somit Kontur. Julia von Lucadou entwirft ein System der totalitären Fürsorglichkeit, das literarisch ebenso überzeugt wie mit ihrer prophetischen Weitsicht.

(Beat Mazenauer, Langversion auf viceversaliteratur)
Schweizer Literaturpreise 2019

Hanser Verlag, München 2018

ISBN: 978-3-446-26039-9